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Endstation Wüste – Das Geschäft mit den schwangeren Rindern

Neues Investigativ-Startup „The Marker“ dokumentiert den Weg trächtiger Rinder von Österreich nach Algerien


Wien (OTS) - Im ersten Halbjahr 2023 wurden bereits tausende trächtige Rinder aus Österreich nach Algerien exportiert. Das, obwohl Algerien im neuen österreichischen Tiertransportgesetz, welches 2022 in Kraft trat, nicht auf der Liste der Drittländer steht, in die exportiert werden darf.


Ziel der Exporte ist laut Landwirtschaft der „Herdenaufbau“. Doch obwohl Österreich seit Beginn der Exporte mehr als 60.000 Rinder mit ihren ungeborenen Kälbern nach Algerien exportiert hat, ist der Rinderbestand laut Statistik stark rückläufig. Die Bedingungen vor Ort machen ein Geschäft mit der Milch sehr schwer und bedrohen die Landwirte nicht nur in ihrer Existenz, sondern haben auch dramatische Auswirkungen auf die Tiere. Das Team von The Marker hat den Weg der Tiere verfolgt und in Algerien mit Händlern, Bauern und Schlachthofbetreibern geredet.


Vom österreichischen Bauernhof nach Algerien – der lange Weg

Bei Versteigerungen in den Bundesländern werden die Rinder verkauft und für den Export gesammelt. Die Tiere werden bei Versteigerungshallen auf Tiertransporter verladen.


Die Route führt von Österreich über Deutschland oder Italien zu einem Hafen bei Montpellier in Südfrankreich – 18 Stunden dauerte der Transport im dokumentierten Fall. Dort werden die Tiere auf Schiffe verladen und über drei Tage an die Häfen von Algier, Tenes oder Oran in Algerien transportiert – je nach Bestimmungsort. Diese Transporte bedeuten für die Rinder oft hohe Belastungen durch Enge und Stress, vor allem auch, weil Tiere bis zum 7. Monat der Trächtigkeit transportiert werden können.


Die Recherchen von The Marker zeigen, dass die Rinder nach ihrer Ankunft in algerischen Häfen auf LKW verladen werden, die nicht den EU-Standards entsprechen. Zusätzlich fehlt es an gesetzlichen Regelungen für diese Transporte, und weder Österreich noch die EU besitzen Kontrollbefugnisse in Drittstaaten oder auf den Schiffen. Somit endet der Schutz der Tiere effektiv mit der Verladung dieser auf die Schiffe.


Europäische und österreichische Gesetze missachtet

Einem Urteil des EUGH nach, muss der Transport der Tiere bis zum endgültigen Bestimmungsort unter Einhaltung der EU-Verordnung stattfinden. In der Praxis fehlt aber jede Kontrollmöglichkeit für europäische Behörden während der Überfahrt per Schiff und in den Drittstaaten.


Im Herbst 2022 trat die neue Fassung des österreichischen Tiertransportgesetzes in Kraft, in dem nun diejenigen Drittstaaten aufgelistet sind „in welche Zuchttiere auf der Straße transportiert werden dürfen“ – Algerien ist dabei nicht angeführt.


Das Gesetz enthält eine Klausel, die besagt, dass Ziele, die lediglich eine Ruhepause von 24 Stunden erfordern, trotzdem angefahren werden dürfen. Diese Regelung öffnet eine Tür für Interpretationen und Ausnahmen, die es ermöglichen, dass Transporte in nicht gelistete Länder, wie Algerien, trotzdem fortgesetzt werden.


Tobias Giesinger, Gründer von The Marker: Bei unserer Recherche haben wir festgestellt, dass bei den Transporten von Österreich nach Algerien scheinbar weder die EU-Verordnung, noch das österreichische Tiertransportgesetz eingehalten werden. Wir konnten auch beobachten, dass den Tieren nicht einmal die 24h Pause vor der Beladung auf das Schiff gewährt wurde. Es ist ein klares Beispiel dafür, wie Gesetze, die auf dem Papier Schutz bieten sollen, in der Praxis durch Lücken und Interessenkonflikte untergraben werden können.


Herdenaufbau für lokale Milchwirtschaft?

Algerien ist zu 85 % von Wüste bedeckt, der Sahara und ist sehr stark vom Import von Futter aus anderen Ländern abhängig. Die Regierung will schon lange unabhängiger vom Ausland werden. Doch die Bemühungen, eine eigenständige Milcherzeugung mit importierten Rindern aufzubauen, scheinen wenig erfolgversprechend.


Trotz der Importe aus Österreich und anderen Ländern ist die Rinderpopulation in Algerien von 2015 bis 2020 um 19 % zurückgegangen. Die Population der Milchkühe im selben Zeitraum gar um 24 % – also um knapp ein Viertel. Dies ist auf geopolitische, klimatische und soziale Umstände zurückzuführen. Es existiert weder eine gezielte Strategie zu einem Herdenaufbau, noch flächendeckende Aufzeichnungen, wo die importierten Tiere hingebracht werden. Es ist deswegen davon auszugehen, dass, bis auf wenige Ausnahmen, weder die algerischen noch österreichischen Behörden wissen, wo sich die exportierten Rinder und ihre Kälber schlussendlich befinden.


Ann-Kathrin Freude, Gründerin von The Marker hat in Algerien mit Bauern geredet: Wir konnten bei unseren Recherchen weder eine gezielte Strategie erkennen, noch existieren Aufzeichnungen, wo die importierten Tiere hingebracht werden. Dies bestätigen auch die Gespräche mit Bauern und Händlern, die nichts von einem Herdenaufbauprogramm wussten. Wir gehen davon aus, dass nur noch ein Bruchteil der österreichischen Rinder und ihr Nachwuchs überhaupt am Leben sind.


The Marker dokumentiert grausamen Tod in algerischem Schlachthof

Die Besichtigung von zwei der modernsten Schlachthöfe in Algerien zeigt, dass Rinder ohne jegliche Betäubung geschlachtet werden. Die zwei dokumentierten Methoden waren eine „Schlachttrommel“, in der das Rind auf den Rücken gedreht wird und die Schlachtung ohne Fixierung durch Niederringen der Tiere auf den Boden (siehe Bilder im Anhang). Bei beiden Methoden erlebten die Rinder ihren Tod über mehrere Minuten bei vollem Bewusstsein mit – eine unvorstellbare Qual.


Aus dem Auge, aus dem Sinn

Die Situation in Algerien, einschließlich der politischen Lage, Krankheitsausbrüchen und der wirtschaftlichen Situation, stellt ein hohes Risiko für die exportierten Rinder und ihren Nachwuchs dar. Auch die Auswirkungen auf die lokale Landwirtschaft und die betroffenen Bauern sind besorgniserregend. Die politischen Entscheidungsträger:innen sind unter diesen Gesichtspunkten gefordert, Verantwortung zu übernehmen. Dabei geht es um die Festlegung und Einhaltung klarer Richtlinien, die über rein wirtschaftliche Interessen hinausgehen und das Wohl der Tiere an die erste Stelle rücken.


Über „The Marker“ und Crowdfunding

The Marker ist ein neues, gemeinnütziges Recherche-Startup für investigativen Foto-, Video- und Datenjournalismus mit Sitz in Vorarlberg. Das Team aus Expert:innen fokussiert sich auf die drängenden Themen wie Tier- und Umweltschutz, Menschenrechte und die globalen Zusammenhänge dahinter. Finanziert durch Spenden, startet das Startup eine Crowdfunding-Kampagne, um ihre zukünftigen Recherchevorhaben umsetzen zu können: https://themarker.org/

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